Atemtechniken zur Beruhigung im stressigen Business-Alltag
Atemtechniken sind längst kein Geheimtipp mehr. Du findest sie im Yoga-Studio, in Anti-Stress-Apps oder in Workshops für Stressmanagement. Doch was bringen sie wirklich – vor allem im Business-Alltag?
In diesem Artikel erfährst Du, wann und wie Atemtechniken helfen, was wissenschaftlich belegt ist, welche Methoden wirklich funktionieren und wie Du sie sinnvoll in Deinen Alltag integrierst – ganz ohne Räucherstäbchen.
Inhalt
Warum Atemtechniken im Berufs-, Lebens- und Leistungskontext wertvoll sind
Im modernen Alltag – ob im Job, im Studium, in der Familie oder beim Scrollen durch die Reizflut sozialer Medien – sind wir permanent externen Anforderungen und innerem Druck ausgesetzt. Das kann zu Anspannung, Reizüberflutung, Konzentrationsproblemen oder schlechter Schlafqualität führen. Viele Menschen fühlen sich ständig „unter Strom“, können aber nur schwer abschalten.
Hier setzen Atemtechniken an: Sie helfen Dir, in solchen Momenten wieder zurück in die eigene Mitte zu kommen, den Fokus zu finden oder einfach mal durchzuatmen – im wahrsten Sinne des Wortes. Besonders bei Nervosität vor Vorträgen, Lampenfieber, mentaler Erschöpfung oder emotionaler Überforderung haben sich Atemübungen als schnelle, einfache und nebenwirkungsfreie Methode bewährt.
Auch im Leistungssport spielen Atemtechniken eine zunehmend wichtige Rolle. Sie helfen Athlet:innen, vor dem Wettkampf fokussiert und ruhig zu bleiben, in Hochdrucksituationen nicht zu verkrampfen und die körperliche Leistungsfähigkeit gezielt zu unterstützen. Techniken wie Box Breathing oder funktionelles Atmen werden inzwischen in Trainingspläne integriert – sei es im CrossFit, im Profifußball oder im olympischen Kontext.
Auch Menschen mit einem dysregulierten Nervensystem – etwa infolge von Kindheitstraumata, chronischem Stress oder instabilen Bindungserfahrungen – profitieren von Atemtechniken, um die Selbstregulation sanft zu fördern. Nicht als Therapieersatz, aber als stabilisierender Begleiter im Alltag, der das Nervensystem schrittweise in mehr Balance bringt.
Egal, ob Du hohe mentale Anforderungen, emotionale Belastung oder körperliche Extrembelastung erlebst – Dein Atem ist immer da. Und er kann mehr, als Du denkst.

Was die Forschung sagt: Atmung beeinflusst Dein Nervensystem
Der physiologische Mechanismus – einfach erklärt
Richtig angewendet, kannst Du durch gezielte Atemübungen Einfluss auf Dein autonomes Nervensystem nehmen – also auf den Teil Deines Nervensystems, der normalerweise „automatisch“ funktioniert und nicht bewusst steuerbar ist.
Das bedeutet: Du kannst die beiden Hauptsysteme – den Sympathikus (verantwortlich für Aktivität, Anspannung und Leistungsbereitschaft) und den Parasympathikus (zuständig für Ruhe, Regeneration und Verdauung) – durch bewusstes Atmen gezielt aktivieren oder beruhigen.
Langsames Atmen wirkt wie ein direkter Schalter:
- Es stimuliert den Vagusnerv und aktiviert den Parasympathikus – Dein „Ruhe- und Erholungsnerv“
- Gleichzeitig beruhigt es den Sympathikus – den „Stress- und Alarmnerv“
- Bei etwa 6 Atemzügen pro Minute synchronisieren sich Herzschlag und Atmung – dieses Phänomen nennt sich respiratorische Sinusarrhythmie und maximiert die HRV (Herzfrequenzvariabilität)
Wissenschaftlich belegt: Der „Sweet Spot“ bei 6 Atemzügen pro Minute
Wissenschaftliche Studien zeigen: Langsames, kontrolliertes Atmen – insbesondere bei etwa 6 Atemzügen pro Minute – hat signifikante physiologische Effekte. Die HRV (Herzratenvariabilität) steigt, der Puls sinkt, der Blutdruck stabilisiert sich. Das Nervensystem wechselt aus dem „Kampf- oder Flucht“-Modus in den Regenerationsmodus (Zaccaro et al., 2018).
Diese Frequenz hat sich als besonders wirkungsvoll erwiesen – vor allem bei Techniken wie kohärenter Atmung oder Box Breathing.
Das Orchester-Bild: Was Deine HRV mit Musik zu tun hat
Stell Dir Dein Herz nicht wie ein starres Metronom vor – sondern wie ein Orchester.
- Eine niedrige HRV ist wie ein eintöniger Paukenschlag: starr, monoton, unflexibel.
- Eine hohe HRV ist wie eine Sinfonie: dynamisch, anpassungsfähig und harmonisch.
Langsames Atmen ist der Dirigent, der dieses Orchester wieder in Einklang bringt – sodass Herz, Lunge und Nervensystem wieder im gleichen Rhythmus spielen.
Richtig atmen im Business-Alltag: 3 einfache Techniken
Die folgenden Methoden lassen sich einfach in Deinen Tag integrieren – auch wenn Du nur wenige Minuten Zeit hast. Ich habe bewusst drei praxiserprobte Techniken ausgewählt:
- Quadrat-Atmung (Box Breathing 4-4-4-4)
Der Klassiker – ideal zum Einstieg.
Anleitung: 4 Sek. einatmen → 4 Sek. halten → 4 Sek. ausatmen → 4 Sek. halten
Effekt: Stabilisiert das CO₂-/O₂-Verhältnis, beruhigt den Puls und fördert den Fokus. Perfekt vor Präsentationen oder wichtigen Gesprächen.
- Physiologischer Seufzer
Anleitung: Zweimal kurz durch die Nase einatmen (das zweite kürzer), dann lang durch den Mund ausatmen.
Effekt: Senkt in unter 60 Sekunden die Herzfrequenz, reduziert CO₂, sorgt für schnelle Entlastung
(Wapner, 2020, Scientific American).
- Lippenbremse (Bonus-Technik für Meetings)
Anleitung: Durch die Nase einatmen, durch leicht geschlossene Lippen langsam ausatmen.
Effekt: Senkt Atemfrequenz, wirkt dezent im Büroalltag – ideal während Calls oder längeren Besprechungen.
„Atmung ist die Fernbedienung zu Deinem Immunsystem.“ – Dimitri Rutansky
Wie Du Atemtechniken mit Gewohnheiten verknüpfst
Die beste Atemtechnik nützt Dir wenig, wenn Du sie im Alltag vergisst. Genau hier liegt für viele die größte Herausforderung: Dranbleiben. Deshalb lohnt es sich, Deine Atemübungen nicht als „Zusatzaufgabe“ zu sehen, sondern als natürlichen Bestandteil Deiner täglichen Routinen.
Ein wirkungsvoller Trick: Verknüpfe Deine Atemübungen mit Gewohnheiten, die ohnehin schon fest in Deinem Tagesablauf verankert sind. Das nennt sich in der Verhaltenspsychologie „Habit Stacking“ – und es funktioniert hervorragend.
Beispiele für solche Verbindungen:
- Direkt nach dem Aufstehen, bevor Du Dein Handy checkst
- Vor dem ersten Meeting oder Kundentelefonat – für Fokus und Präsenz
- Beim Warten auf den Kaffee oder während die Nudeln kochen
- Abends im Bett, um den Tag bewusst abzuschließen
Je niedriger die Einstiegshürde, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Du die Übung regelmäßig machst – ganz ohne Zwang. So wird aus einer einzelnen Technik nach und nach eine automatische Mikro-Routine, die Du nicht mehr missen willst.
Tipp: Starte klein. Lieber täglich eine Minute bewusst atmen, als einmal pro Woche eine halbe Stunde zu viel zu wollen. Konstanz schlägt Intensität.

Atemübungen im Teamkontext: Mini-Rituale für mehr Fokus
Atemtechniken sind nicht nur für Einzelpersonen hilfreich – sie entfalten auch im beruflichen Miteinander großes Potenzial. Gerade in Teams, die viel unter Druck arbeiten oder in schnellen Entscheidungszyklen unterwegs sind, können kleine gemeinsame Atemroutinen wahre Wunder wirken.
Ein kurzer Atemzyklus von 60 bis 90 Sekunden vor einem Meeting, Workshop oder Pitch hilft dabei, den inneren Lärm zu reduzieren, den Fokus zu bündeln und präsent in die gemeinsame Arbeit zu starten. Das senkt nicht nur den Stresspegel, sondern sorgt auch für eine bessere Gesprächsatmosphäre und mehr Klarheit im Denken.
Solche Mini-Rituale lassen sich leicht einführen. Du könntest z. B. eine einfache Quadrat-Atmung anleiten oder den physiologischen Seufzer als lockeren Start verwenden. Auch eine stille Atemminute, in der alle einfach bewusst atmen, kann bereits viel bewirken.
Vorteil: Diese gemeinsamen Atempausen schaffen nicht nur Ruhe, sondern auch Verbundenheit – ein Gefühl von „Wir starten gemeinsam durch“ statt „Jeder hetzt aus einem anderen Termin rein“. Das wirkt sich langfristig positiv auf die Teamdynamik, Resilienz und sogar auf die Performance aus.
Praxis-Tipp: Deine kleine Abendroutine
Probiere eine Atemtechnik direkt nach Feierabend – für mindestens 3 Minuten. Zieh danach Dein persönliches Fazit:
- Welche Atemtechnik hat Dich wirklich ruhiger gemacht?
- Welche hat spürbar eine Grenze zwischen Arbeit und Privatleben geschaffen?
- Nach welcher hattest Du das Gefühl, angenehm langsamer geworden zu sein?
Hinweis: Wenn Dir schwindlig wird oder Du beginnst zu hyperventilieren, stoppe sofort und führe die Übung künftig im Sitzen durch. Und ganz wichtig: Wenn Du gesundheitliche Probleme hast, lass Dich vorher ärztlich beraten.
Atemübungen sind kein Ersatz für einen gesunden Lebensstil
Atemtechniken sind kein Ersatz für gesunden Schlaf, Bewegung und gute Struktur – aber sie sind ein intelligentes Add-on, das Dich im Alltag unterstützt. Richtig eingesetzt, helfen sie Dir, Dein Nervensystem zu regulieren, Stress zu reduzieren und den Kopf wieder frei zu bekommen. Und das Beste: Sie kosten nichts – außer ein paar Minuten Aufmerksamkeit.
Atemtechniken stoßen beispielsweise hier an ihre Grenzen:
- Schlafmangel lässt sich nicht „wegatmen“: Wenn Du erschöpft bist, braucht Dein Körper echten Schlaf – keine Technik kann das ersetzen.
- Pausenstrukturen fehlen: Atemtechniken entfalten nur Wirkung, wenn Du sie in echte Pausen einbaust und nicht zwischen zwei To-Do’s quetschst.
- Medizinische Themen brauchen ärztliche Begleitung: Bei Asthma, Panikattacken oder Atemwegserkrankungen solltest Du nicht allein experimentieren.
Storytime: Vom Alarmmodus zum Auftritt
Eine Bereichsleiterin aus der IT-Branche kam zu mir mit Schlafstörungen, innerer Unruhe und Druck im Brustkorb vor Präsentationen. Wir starteten mit der 4-7-8-Technik am Abend, physiologischen Seufzern vor Meetings und kurzen Mikropausen im Team. Nach drei Wochen: deutlich ruhigerer Schlaf, klarerer Fokus, kein Herzrasen mehr vor wichtigen Terminen.
Das zeigt: Wenn Du lernst, Deine Atmung bewusst einzusetzen, kannst Du Deinen inneren Zustand gezielt verändern – und Deine Resilienz stärken.
Kurzcheck für die nächste Woche
Du willst nicht nur lesen, sondern ins Tun kommen? Perfekt. Dann nimm Dir für die nächsten sieben Tage diesen Mini-Plan vor – kurz, machbar und wirkungsvoll:
- Wähle 1-2 Atemtechniken aus, die sich für Dich gut anfühlen – zum Beispiel Box Breathing oder der physiologische Seufzer. Wichtig ist nicht, möglichst viel zu machen, sondern regelmäßig zu starten.
- Nimm Dir täglich 5 Minuten Zeit – am besten morgens oder abends – und übe Deine ausgewählte Technik ohne Ablenkung. Kein Handy, kein Multitasking, einfach nur Du und Dein Atem.
- Plane feste Mikropausen in Deinen Arbeitsalltag ein. Statt in Dauerstress zu verfallen, schaff Dir klare Ateminseln – z. B. vor einem Call, nach einem Meeting oder zum Tagesabschluss.
- Bewegung und Schlaf bewusst priorisieren. Atmung wirkt am besten, wenn Dein Körper die Basis bekommt, die er braucht: ausreichend Schlaf, frische Luft, leichte Bewegung. Denk dran: Atemübungen multiplizieren die Wirkung guter Gewohnheiten – sie ersetzen sie nicht.
Teste, reflektiere, passe an. Und wenn Du merkst, dass sich etwas verändert – sei es Fokus, Gelassenheit oder Schlaf – dann weißt Du: Du bist auf dem richtigen Weg.
Fazit: Kleine Schritte, echte Wirkung
Viele Menschen erwarten zu Beginn zu schnell zu viel – und sind enttäuscht, wenn sich nicht sofort ein spürbarer Effekt einstellt. Doch genau wie beim körperlichen Training oder beim Lernen neuer Fähigkeiten brauchen auch Atemtechniken Zeit, Geduld und Wiederholung. Die Wirkung zeigt sich oft subtil: ein ruhigerer Puls, mehr Klarheit, etwas weniger Anspannung – kleine Veränderungen, die mit der Zeit groß werden können.
Wichtig ist, dass Du dranbleibst, experimentierst und nicht bewertest. Jeder Atemzug zählt – und jeder bewusste Moment ist ein Schritt in Richtung innerer Balance.
Ein weiterer Vorteil: Atemtechniken sind kein spiritueller Kraftakt wie manche Meditationsformen, sondern konkret, körperlich spürbar und direkt umsetzbar. Sie erfordern kein besonderes Setting, keine Vorkenntnisse und kein stilles Sitzen auf dem Meditationskissen. Gerade für Menschen, denen klassische Meditation schwerfällt, bieten sie einen greifbaren Einstieg ins Stressmanagement – mit sofortigem Einfluss auf Körper und Geist.
Dein Atem ist immer da. Nutze ihn – gezielt, bewusst, regelmäßig.
Zum Autor
Dimitri Rutansky ist Personal Trainer, Ernährungsberater und Experte für Betriebliches Gesundheitsmanagement. Er arbeitet u. a. mit der Berufsfeuerwehr Stuttgart, der Stadt Stuttgart und zahlreichen Unternehmen zusammen. Sein Ansatz: Atmung, Training und Stressmanagement intelligent kombinieren – für Leistung ohne Burnout.
Kontakt:
☎ +49 176 24663694
Quellen & weiterführende Literatur
Zaccaro, A. et al. (2018): How Breath-Control Can Change Your Life: A Systematic Review on Psycho-Physiological Correlates of Slow Breathing, Frontiers in Human NeuroscienceWapner, J. (2020): Vision and Breathing May Be the Secrets to Surviving 2020, Scientific American

